De re publica

Hallo ihr da draußen,

der ein oder andere von euch wird es schon mitbekommen haben: Am letzten Dienstag waren hierzulande wieder einmal Wahlen. Die Israelis wählen traditionell an diesem Wochentag, vermutlich gilt Wählen als Arbeit und darf somit nicht am Schabbat stattfinden. An dem Wahltag ruht bei vielen die Arbeit, so auch bei uns.


Der aufmerksame Leser erinnert sich, dass Ende Oktober bereits Kommunalwahlen waren. Damals sind wir zum Toten Meer gefahren und auch dieses Mal stand ein touristisches Highlight auf dem Plan: die Festung Masada. Masada befindet sich auf einem Felsplateau in der jüdäischen Wüste mit Blick auf das Tote Meer. König Herodes erkannte die strategische Lage und baute das Plateau zu einem Zufluchtsort vor innen- und außenpolitischen Gegnern aus. Die Festung ist Ort einer Tragödie: Judäa wurde im Jahr 6 n. Chr. von den Römern annektiert, woraufhin sich über 900 Menschen auf Masada zurückzogen und den Besatzern Widerstand leisteten. Die Römer errichteten Lager rund um den Felsen, belagerten ihn und errichteten eine Rampe, über welche sie die Burg schließlich stürmten. Am Vorabend der Stürmung hielt der Kommandant des Widerstands eine bewegende Rede, mit der er die belagerten Männer und Frauen davon überzeugte, lieber durch eigene Hand zu sterben, als zu Sklaven der Römer zu werden. Daraufhin nahmen sich fast alle das Leben - bis auf zwei Frauen und fünf Kinder, die den Römern von den Ereignissen berichteten.
Die Geschichte Masadas wurde durch den jüdischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus überliefert, der auch eine äußerst detailreiche Beschreibung des zweiten Jerusalemer Tempels verfasste! Auf dieser basiert das "Holyland Model of Jerusalem", welches im Israel Museum in Jerusalem bestaunt werden kann.
Der Zugang zu Masada ist heute über zwei Wege möglich: von Osten aus Richtung des Toten Meeres oder von Westen, über Arad kommend. Auf der Westseite befindet sich der sogenannte "Schlangenpfad", ein ca. 40 minütiger, sich in Serpentinen windender Aufstieg und eine Seilbahn; auf der Westseite ist die von den Römern errichtete Rampe, über die man nach ca. einer Viertelstunde die Festung erreicht, außerdem ein sehr gut ausgestatteter Campingplatz, auf welchem wir auch tatsächlich übernachteten. Wir wollten auch den Sonnenaufgang bestaunen, der von allen angepriesen wurde und sich tatsächlich verlockend anhörte. Doch wie sollte man diesen so weit abgelegenen Ort erreichen, noch dazu, wenn man die Reise erst nach einem langen Arbeitstag bis vier Uhr nachmittags antreten kann? Nun - wir haben uns kurzerhand ein Auto geliehen! Das ist nämlich bei einigen Anbietern doch möglich. Wer auch immer das Gerücht in die Welt gesetzt hat, man könnte erst mit 21 ein Auto leihen - DAS STIMMT NICHT! Allerdings haben wir einen Aufpreis zahlen müssen und für das ganze Geld, das uns dieser Tag gekostet hat, haben wir eine ziemliche "Schärbel" bekommen - so sagt man bei uns zu einem recht fertigen Peugeot 30 (oder war es etwa ein Peugeot 301, bei dem die letzte Ziffer abgefallen war?), der von außen deutliche Gebrauchsspuren zeigte, während der Fahrt teilweise seltsame Geräusche von sich gab und konsequent von uns forderte, zur Inspektion gebracht zu werden. Außerdem wurde uns das Auto nicht vollgetankt überlassen, es hieß, die Tankanzeige würde nicht mehr vollständig ausschlagen, was sie bei dem finalen Volltanken dann aber doch tat - welch Wunder! Sauber war das Auto selbstverständlich auch nicht... Ich denke, es ist fair, von einem Autoleih bei Shlomo Sixt, dem israelischen Zweig des Sixt-Unternehmens abzuraten, erst recht, wenn man noch keine 21 Jahre alt ist.
Aber zurück zu Masada: Wir haben es nach einer überraschend angenehm warmen Nacht tatsächlich geschafft, um Viertel nach fünf in der Früh aufzustehen und haben das Felsplateau erklommen.

...und wieder: atemberaubende Weiten

Natürlich waren auch noch viele andere Touristen anwesend, die sich das Spektakel nicht entgehen lassen wollten. Unzählige Kameras und Smartphones mit und ohne Selfiestick wurden gezückt - und dann, ganz plötzlich, lugte ein kleines Eckchen Sonne über den jordanischen Bergen hervor! Schnell wanderte der orange Fleck immer weiter nach oben und wurde immer größer - dann war der Sonnenaufgang auch schon vorbei. Ursprünglich hatten wir angedacht, zunächst wieder zum Camp zurück zu laufen und noch ein bisschen zu schlafen und die Festung später zu besichtigen. Die Faulheit siegte dann aber doch, sodass wir uns gegen einen zweiten Anstieg entschieden und uns die Ruine direkt zu Gemüte führten. Ich finde es immer wieder beeindruckend, wenn man solche massiven Bauwerke von Kulturen vergangener Zeite besichtigen kann, noch dazu, wenn sie sich an solch entlegenen Orten befinden! Der Nordpalast des Herodes wurde in den steil abfallenden Abhang hineingebaut - Wahnsinn!



Außerdem kann man noch die riesige Zisterne am Südende besichtigen, überhaupt hatten sich die Erbauer ein äußerst ausgeklügeltes Wasserversorgungssystem überlegt.
Schließlich hatten wir alles gesehen und traten wieder den Rückweg an. Am Zeltplatz angekommen haben wir ein bisschen gefrühstückt und wollten uns dann noch einmal kurz ausruhen, die ansteigende Hitze und die mit ihr aufgeweckten Fliegen machten uns einen Strich durch die Rechnung. Plötzlich hieß es auch: "Sachen packen!" Der Campingplatz sollte bis 11 Uhr geräumt werden. Also alle Sachen schnell zusammengesucht, ins Auto geworfen und selbst hinterher in den klimatisierten Wagen. Spontan entschieden wir uns dazu, noch nach Ein Gedi zu fahren (das liegt ca. 1,5 Autostunden entfernt am Toten Meer), immerhin wollte niemand den freien Tag und vor allem den Besitz des Autos verstreichen lassen.
Ein Gedi ist eine Oase am Toten Meer. In den Bergen entspringen einige kleine Quellen, die das Tal grün und fruchtbar machen und Besuchern eine Erfrischung bieten. So verwundert es nicht, dass bei unserer Ankunft der Parkplatz vor dem Nationalpark rappelvoll war; wir hatten Mühe, einen Platz zu finden, der nicht schon von unwirschen Familienmüttern okkupiert wurde. Auch im Nationalpark ging das Geschiebe mehr oder weniger weiter, an dem Bachlauf entlang, hier ein Foto, da ein Foto. Eigentlich ein bisschen schade, die Natur dort ist so wunderschön, doch in einer solchen Touristenmasse konnte man sie gar nicht richtig wahrnehmen. Aber wir haben ja letztlich auch irgendwie dazugehört, nicht wahr?


Aus diesem Grund haben wir auch irgendwann eine Abzweigung genommen und sind auf der rechten Seite den Hang hinaufgewandert. Dazu musste man etwas besser zu Fuß sein, sodass wir aus der unten laufenden Herde ausbrechen konnten.


Es hat sich richtig gelohnt! Dort oben hatte man einen sehr schönen Ausblick auf das grüne Tal und das Tote Meer, eine Gelegenheit, auch selbst die Beine in das kühle Nass zu halten - und plötzlich stand auch eine Bergziege mit ihren Kleinen vor uns auf dem Weg!
Die Rückfahrt nach Hause war bis auf Jerusalem recht entspannt: Dort kontrollierten sie die einfahrenden Autos. Das ist übliches Procedere, immerhin werden die Schnellstraßen 1 (von Jerusalem zum Toten Meer) und 90 (entlang des Jordan/des Toten Meeres) vollständig von Israel kontrolliert (Stichwort: "Zone C"), doch gehört das Gebiet international gesehen nicht zu israelischem Staatsgebiet. Außerdem fanden ja noch die Wahlen statt, sodass verstärkte Aufmerksamkeit gezollt wurde. So schlagen wir jetzt auch den Bogen zur Politik: Das Ergebnis der Wahlen steht inzwischen längst fest. Es wird oft von Netanjahu als Wahlsieger gesprochen, ich halte von solchen Äußerungen eher Abstand, das wird sehr schnell wertend. Fakt ist, dass Benjamin Netanjahu mit seiner Likud-Partei (nur) einen Sitz mehr als Benny Gantz mit seinem Wahlbündnis "Blau-Weiß" erhielt, er kann jedoch seine Koalition mit einigen kleineren Parteien des rechten Spektrums wie gehabt weiterführen. Interessant ist jedoch, dass man auf der hier verlinkten Seite die Wahlergebnisse für jeden einzelnen Ort in Israel aufrufen kann (leider nur auf Hebräisch). Wenn ich etwas in meiner Zeit hier gelernt habe, ist es die Tatsache, dass Israel sehr lokal geprägt ist. Das geht ziemlich alle Belange des Lebens an; die Lebensmittelversorgung (Supermarkt vs. Markt), politische Lage (Ballungsräume vs. Peripherie/Grenzgebiete zum Westjordanland), geographische Lage (Wüste vs. Küste vs. Ackerland vs. Gebirge), Kultur- und Bildungsangebot und natürlich auch die Identität der Einwohner (Ethnie, Familienstand, Religion, Religiösität etc.). So verwundert es nicht, wenn man die Wahlergebnisse verschiedener Städte betrachtet und feststellt, dass sich diese gravierend unterscheiden können. Selbstverständlich existieren auch in Deutschland solche Unterschiede (Stadt - Land, West - Ost etc.), aber hier ist das eine andere Kategorie, würde ich sagen. Ich möchte im Folgenden die Wahlergebnisse von drei kurz skizzierten Städten zeigen, ohne große Interpretation oder gar Wertung:
  1. Ra'anana. "Meine" Stadt in Israel, die Bevölkerung ist eigentlich ausschließlich jüdisch und setzt sich aus französisch- und englischsprachigen Ländern zusammen: 44% für Blau-Weiß (liberal-zionistisch), 23% für die Likud (konservativ-national), 7% für Jamin HaChadasch ("die neue Rechte", zionistisch-national), 6% für die Awoda ("Arbeit", sozialdemokratisch), 4% für HaBait Jehudi ("jüdisches Haus", nationalreligiös) und 4% für Meretz ("Energie", sozialistisch)
  2. Umm al-Fahm. Eine israelisch-arabische Stadt, an der Grenze zum Westjordanland gelegen, auf halbem Weg zwischen Tel Aviv und Haifa: 80% für Chadasch-Ta'al (kommunistisch), 12% für Ra'am-Balad (arabisch) und 5% für Meretz
  3. Bnei Brak. Eine ultraorthodox geprägte Stadt, einige Kilometer nordöstlch von Tel Aviv und tatsächlich auch eine der ärmsten Stadte Israels: 62% für das Vereinigte Torah-Judentum (religiös-konservativ), 26% für die Schas (religiös-sephardisch) und 5% für die Likud
Zugegeben, die letzten beiden Städte sind natürlich Extreme, die meisten Städte sind politisch eher mit Ra'anana zu vergleichen. Trotzdem existieren diese unterschiedlichen Wahlergebnisse - und es ist eine schwierige Aufgabe für ein Parlament, all diese so unterschiedlichen Meinungen wiederzugeben.
Wir werden sehen, was die Zukunft bringt. Bei uns steht Pessach und vor allem auch Ostern (heute ist Palmsonntag, Jesus' Einzug in Jerusalem) vor der Tür. Für nächsten Freitag bin ich bei der Physiotherapeutin meiner Station zum Sederabend eingeladen, und ihr könnt euch sicherlich vorstellen, dass ich sehr gespannt bin. Selbstverständlich werde ich euch davon berichten!

Habt eine gute Woche!

Euer Johannes

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