Dies ist kein Reiseblog!

Schalom chaverim,

lange ist es her, dass ich mich gemeldet habe. Vieles ist passiert. Wo soll man da anfangen, nach fast einem ganzen Monat voller unvergesslicher Erlebnisse und schöner Wiedersehen?

Ich will beginnen mit dem, womit ich am meisten Zeit verbringe: mit meiner Arbeit. Nach meinem kleinen Weihnachtsurlaub bin ich im Löwenstein wieder sehr herzlich aufgenommen und von einigen (Unwissenden) sogar gefragt worden: "Johannes, wo warst du die ganze letzte Woche gewesen? Ich habe dich gar nicht gesehen!" Ich habe mich sehr gefreut, teilweise so im Gedächtnis geblieben zu sein - obwohl ich dort natürlich nichts Großartiges leiste, so geben mir diese kleinen Gesten doch eine Bestätigung für mein Dasein. In meiner Tätigkeit gibt es auch seit ein paar Wochen vor Weihnachten einige Neuerungen: Zu meiner morgendlichen Arbeit als Hilfskraft in der Intensivstation sind nun Gruppenbetreuungen dazugekommen. Was heißt das konkret? Nun, im Löwenstein bekommt jeder Patient pro Tag eine Dreiviertelstunde Einzeltherapie ("Hands-On"). Da dies wenig erscheint und auch von vielen als zu wenig empfunden wird, besteht für die Patienten die Möglichkeit einer Teilnahme an Gruppentherapien. Diese werden immer von einem Physiotherapeuten geleitet, zusätzlich wird aber immer noch eine andere Person benötigt, die bei Bedarf Hilfestellung leisten kann. Dies kann entweder ein zweiter Therapeut sein, oder eben ein Freiwilliger wie ich. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich bin zweimal am Tag für eine halbe Stunde Gruppentherapien eingeteilt, von 9.30 bis 10 Uhr bei der Gehgruppe und von 14 bis 14.30 Uhr bei der Rückengruppe. Morgens gehe ich mit Patienten mit, die ein wenig wackelig auf den Beinen sind und nachmittags helfe ich größtenteils beim Hinsetzen und Aufstehen oder verteile Übungsgegenstände wie Pilatesringe, Bälle, Rollen oder Sitzkissen. So bleibt auch immer Zeit, die Übungen ein wenig mitzumachen, und ich habe das Gefühl, gerade bei der Rückengruppe, dass es meinem Körper alles andere als schaden kann. Wer sich erinnert, weiß, dass ich seit dem Yoga in Teterow offen bin, zumindest als Ergänzung auch mal "unkonventionellen" Sport zu treiben, und das Wort "Pilates" ist ja eben schon in einem Nebensatz gefallen. So viel dazu.
Ein anderer Punkt, den ich schon länger einmal hier anfügen wollte, betrifft meine Kollegen. Die Gelegenheit ergibt sich gerade, weil vor nicht allzu langer Zeit in der Zeitung meiner Heimat, der "RHEINPFALZ", ein Artikel über jüdisch-arabisches Zusammenleben in Israel erschien. In dem Artikel wurden einige Orte genannt, an denen jüdische und arabische Kinder zusammen lernen, ihre Freizeit zusammen verbringen etc. Es wird allerdings auch darauf hingewiesen, dass solche Gemeinschaftsprojekte die Ausnahme darstellen und vor allem Ortschaften keine heterogene Bevölkerung aufweisen. Dies kann ich so eigentlich sehr gut unterschreiben: In meinem Ort Ra'anana wohnen fast ausschließlich konservative, westliche geprägte Juden; alle unsere Nachbarn sind französischsprachig und es gibt beispielsweise einen Verein für südafrikanische Einwanderer. Anders allerdings im 8 km entfernten Ort Tira: Dort wohnen quasi nur israelische Araber!
Trotzdem dieser Trennung bezüglich des Wohnortes ist auch das Löwenstein Rehabilitationszentrum ein solcher Ort, an dem Juden und Muslime harmonisch zusammenarbeiten. Wir wurden schon zu Anfang unseres Dienste darauf hingewiesen, dass das Löwenstein frei von politischen Auseinandersetzungen ist, und nach dieser Zeit darf ich das jetzt wohl bestätigen. Ein schönes und Hoffnung gebendes Zeichen!

Doch ich will euch auch nicht ganz ohne ein paar Reiseeindrücke entkommen lassen: Am letzten Freitag weckte mich morgens mein Aktionismus, der sich manchmal zu Wort meldet, und fuhr mich nach Jerusalem. Warum nach Jerusalem? Nun, erstens ist sie eine sehr schöne Stadt und immer einen Besuch wert und zweitens steht dort das "Israel Museum, Jerusalem", das Nationalmuseum des Landes. "Museum, wie langweilig!" , werden jetzt vielleicht einige von euch sagen, und ehrlich gesagt dachte ich das im ersten Moment auch. Doch schaden kann ein Besuch nicht, und ich wurde auch nicht enttäuscht.
Aber der Reihe nach: Ich bin gegen acht Uhr morgens losgefahren, ja, das ist früh, allerdings ist am Freitagmorgen wegen der Vorbereitungen für den Schabbat immer reger Verkehr auf der Straße vor unserem Haus, sodass ich nicht viel länger hätte schlafen können. Als alter Spezialist hatte ich aber nicht auf dem Schirm, dass ich in Jerusalem vor Öffnung des Museums ankommen würde - so blieb mir noch eine gute halbe Stunde Puffer. Da erinnerte ich mich an eine schon vor einiger Zeit ausgesprochene Empfehlung der Physiotherapeutin meiner Station, den "Mahane Yehuda" in Jerusalem zu besichtigen. Der "Mahane Yehuda" ist ein großer, teilweise überdachter Markt im Herzen der Stadt, und ich war beim Betreten begeistert! Man muss nur einmal dort entlanglaufen, tief durch die Nase atmen und die Vielfalt der Gerüche wahrnehmen, dann weiß man, wovon ich spreche.



Wie das duftete! Zu schade, dass Bilder keine Gerüche einfangen...

Und das geschäftige Treiben, dass an diesem Freitagmorgen um die Stände herum herrschte! Die Marktschreier riefen auch teilweise seltsame Sprüche, im Kopf ist mir davon einer geblieben: "Ejse jom hajom? Ejse jom hajom? Hajom jom Banana!" (Welcher Tag ist heute? Heute ist Bananentag! - Vermutlich wollte er damit auf ein besonders gutes Angebot für Bananen aufmerksam machen...) Doch trotz des Gewusels wirkte dieser Markt um einiges sauberer und geordneter als der gut zwei Kilometer entfernte Markt in der Jerusalemer Altstadt. Es ist doch wahr, dass die Märkte die Kultur eines jeden Ortes so authentisch widerspiegeln!

 

Nachdem nun der olfaktorische Sinn schon gut angeregt wurde, ging es los in Richtung Museum. Dieses liegt unweit des israelischen Parlaments, der Knesset, im Westen der Stadt. Ich wurde in einem modernen Eintrittsgebäude empfangen, alles wirkte sehr aufgeräumt und schick, aber nichts anderes habe ich in einem Nationalmuseum erwartet. Die Eintrittspreise sind sehr moderat, man zahlt gerade mal 54 Schekel (also ungefähr 13 Euro). Ich wurde direkt mit einer Karte beglückt und darauf hingewiesen, dass um 11 Uhr eine Führung durch den archäologischen/kulturgeschichtlichen Flügel beginne. Bis dahin blieb noch ein wenig Zeit, sodass ich schon einmal die Hauptattraktion besichtigen konnte: den "Schrein des Buches" mit antiken Schriftstücken, die in einer Höhle am Toten Meer gefunden wurden.

Auf dem Weg zum Schrein des Buches (li): Baum-Skulpturen des chinesischen Künstlers Ai Weiwei

Das Gebäude erinnert an ein Rundzelt und wird duch einen unterirdischen Tunnel betreten, um an den Fundort zu erinnern.

Der oberirdische Teil des Schreins, rechts im Hintergrund die Knesset. Man beachte das Wetter.
Im Gebäude selbst darf man keine Bilder machen, daher erläutere ich kurz, was man dort vorfindet: Zu sehen ist eine der ältesten Abschriften eines Buches der Bibel, die Jesajarolle. Sie misst ca. sieben Meter in der länge und wurde im 2. Jh. v. Chr. geschrieben. In der Mitte des Gebäudes befindet sich ein Zylinder, auf dem das gesamte Schriftstück betrachtet werden kann. Es handelt sich hierbei jedoch nur um ein Faksimile, da das Original im Laufe der Zeit durch das schon gedämmte Licht im Ausstellungsraum und den Atem der Besucher Schade genommen hatte. Dieses befindet sich nun gesichert in einem Kellerraum des Museums.
Außerdem sind noch andere Schriftstücke ausgestellt, die in der Höhle von Qumran gefunden wurden, darunter auch der "Codex von Aleppo", welcher bis zu seiner Teilzerstörung das älteste vollständige Manuskript der masoretischen hebräischen Bibel war. Sehr sehenswert!

Direkt nebenan befindet sich das Modell der Altstadt von Jerusalem zur Zeit des zweiten Tempels ("Holyland-Modell"). Der Historiker Flavius Josephus beschriebt den Tempel so genau, dass das Modell extrem authentisch und exakt nachgebaut werden konnte:



Um Punkt (!) 11 begann die Führung im ärchäologischen Teil, ich wurde mit ein paar anderen Touristen von einer Britin zu den Highlights des Museums geführt. Es begann mit wiederbenutzbaren Sarkophagen:


Auch wenn diese Sarkophage vom Aussehen stark an Ägypten erinnern, so haben sie doch mit diesen recht wenig zu tun: Sie wurden in einem Ort im heutigen Gaza-Streifen gefunden und wurden auch nicht mit einer Mumie gefüllt, sondern mit nurden Gebeinen, dafür gleich mehrerer Personen.


Ein echter archäologischer und nichtbiblischer Nachweis über die Existenz König Davids: Eine Stele, auf der in aramäischer Schrift von König David die Rede ist: Die nachträglich mit Kreide weiß markierten Buchstaben sind  (von links nach rechts) Beth (b) - Yuth (i) - Taw (t) - Dolath (d) - Waw (w) - Dolath (d). Zusammen ergibt das zwei Wörter, übersetzt quasi "Haus Davids".

Wir arbeitetn uns also langsam in der Zeit nach vorne (ich will euch mehr Einzelheiten ersparen), bis wir in dem jüdischen Flügel des Museums ankamen. Dort sind moderne Gebrauchsobjekte der jüdischen Religion ausgestellt, von denen ich euch gerne folgenden Gegenstand zeigen will:


Unsere Guide machte uns darauf aufmerksam, dass der Zerstörung des zweiten Jerusalemer Tempels eine besondere Bedeutung im jüdischen Glauben zukommt. So ist es auch Brauch, dass die Braut bei einer Hochzeit am Ende der Zeremonie ein Glas zertritt, um auch in diesem fröhlichen Moment der Zerstörung des Tempels zu gedenken. Bei den deutschen Juden ist es allerdings Brauchtum, das Glas nicht zu zertreten, sondern an einen Stein zu werfen - einen solchen seht ihr oben. Er stammt aus der Stadt Bingen am Rhein!

Neben zahlreichen weiteren, allesamt sehr interessanten Exponaten findet man in dem Museum auch noch vier originale Synagogen, die nicht mehr benutzt wurden und nach Jerusalem gebracht wurden: eine aus der Nähe von Venedig, eine aus Bayern, eine aus Indien und eine aus Suriname (Südafrika). Man konnte die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede mit den Einflüssen der Umgebung in den Einrichtungen erkennen: Beispielsweise wurde die Decke der indischen Synagoge mit geschnitzten Lotusblumen dekoriert, und bei der italienischen wies der Torahmantel eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Pellegrina, dem Schultercapé katholischer Geistlicher. Eine weitere Besonderheit stellt Einrichtung der Synagoge dar: Während die Bima (entspricht einer Kanzel) üblicherweise hinter dem Torahschrein steht, wurde diese norditalienische Synagoge bipolar konzipiert: Da der Boden um Venedig sehr instabil ist, wollte man die Synagoge nicht zu einseitig beladen und entschied sich also dazu, die Bima aus statischen Gründen dem Torahschrein entgegengesetzt aufzustellen!

Als letztes darf ich nun nicht den Kunstflügel vergessen, voll mit barocken, impressionistischen und modernen Gemälden. Leider konnte ich diesem Teil nach dem ganzen Kulturinput nicht mehr die Aufmerksamkeit widmen, die er verdient hätte; Also spazierte ich einfach ein wenig herum und ließ die Bilder auf mich wirken. Besonders beeindruckend empfand ich dabei folgendes Gemälde:


Camille Pissarro: Matin, effet de soleil. 1899

Ihr merkt, es gab so viel zu sehen! Kaum zu schaffen an einem kurzen Freitagmorgen. Vielleicht werde ich nochmal dorthin fahren, schließlich ist auch der zweite Eintritt innerhalb von drei Monaten auf den halben Preis reduziert - wir werden sehen...

Ich wünsche euch alles Gute!

Euer Johannes

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