Über ein Thema, das zu komplex ist, um es in einem Blogeintrag auch nur anzureißen

Und damit "Hallo zurück" auf meinem Blog!

Am vorletzten Donnerstag war mein echter erster Seminartag, wenn man das Vorbereitungs- und das Ankunftsseminar nicht mitzählt, die ja beide den Freiwilligendienst an sich als Thema hatten. Nein, an diesem Donnerstag drehte sich alles um den israelisch-palästinensischen Konflikt. Ich will versuchen zu beschreiben, was ich erlebt und gelernt habe und bemühe mich um eine möglichst authentische Darstellung. Das wird nicht immer möglich sein, es wird sich bestimmt auch der ein oder andere Fehler einschleichen, aber ich möchte euch trotzdem einige Aspekte dieses so komplexen Konfliktes darstellen!

Nun, es begann mit einer Mail, die uns am vorausgegangenen Samstagabend erreichte und das baldige Seminar verkündete. Ursprünglich war dieses für Mai angesetzt - der Seminarplan, der uns anfangs zur Planung gegeben wurde, ist aber inzwischen vollständig verworfen und beinhaltete laut Koordinatorin wörtlich "willkürliche" Termine. Ein Spaß - für uns, aber vor allem auch für unseren Koordinator im Löwenstein...

Treffpunkt war um 9.15 Uhr an einem Bahnhof in Hadera, sodass wir zur üblichen Zeit aufstehen mussten und dann gen Norden fuhren. Nachdem alle Freiwiligen und Koordinatoren ca. eine halbe Stunde später eingetrudelt waren, wurden wir von einem Privatbus abgeholt, der uns zum Bildungszentrum des Kibbuz' Givat Haviva brachte. Es begrüßte uns eine Frau mit zugegebenermaßen etwas derbem Wortschatz, die sich als in Wales gebürtige Jüdin vorstellte. Sie erzählte von ihrem bewegten Leben, dem Antisemitismus, dem sie sowohl als Kind in Wales, als auch später in England begegnete. Dieser drängte sie schließlich auch zu ihrer "Alija" (hebräisch für "Aufstieg", meint die Einwanderung nach Israel). Hier hat sie sich aufgrund ihrer negativen Erfahrungen vorgenommen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, und auch an uns appellierte sie, einen persönlichen Beitrag zu einer besseren Welt zu leisten. Sie arbeitet seither in Givat Haviva und tritt somit für die israelisch-palästinensische Verständigung und die Integration der arabischen Minderheit in den Staat Israel ein.
Wir erhielten ein kurzes Briefing über die Geschichte Israels, was für das Verständnis des heutigen Konfliktes unerlässlich ist. Nach der israelischen Unabhängigkeitserklärung vom 14. Mai 1948 griffen die umliegenden arabischen Staaten Israel an und im Laufe dieses Krieges, der als israelischer Unabhängigkeitskrieg bzw. als "Naqba" (Katastrophe) auf arabischer Seite bekannt ist, flohen hunderttausende arabische Muslime in den ägyptisch besetzten Gaza-Streifen, in das von Jordanien annektierte Westjordanland oder über die Grenze in den Libanon, nach Syrien oder Jordanien. Diesem Strom entgegengesetzt wanderte ungefähr dieselbe Anzahl an jüdischen Flüchtlingen aus der arabischen Welt ein, u.a. dem Irak, Marokko oder Jemen. Doch es blieben auch viele der Palästinenser in Israel: Diese erhielten zwar auch die israelische Staatsbürgerschaft, standen allerdings unter Kriegsrecht (MR - military rule) und hatten somit faktisch nicht dieselben Freiheiten wie ihre jüdischen Mitbürger. 1967, nach dem Sechstagekrieg, wurde dieser Status aufgehoben, allerdings fühlen sich viele der arabischen Israelis den Juden heute noch untergeordnet, wie die nächste Rednerin berichten sollte.
Diese stammt aus dem nahegelegenen Barta'a, einem Ort mit einer bewegenden Geschichte: Nachdem Jordanien in den Waffenstillstandsverhandlungen von 1949 auf Rhodos das Westjordanland annektierte, wurde die Grenzlinie zu Israel mit grüner Tinte gezeichnet und heißt seitdem "Grüne Linie". Diese Linie verlief allerdings mitten durch ein Dorf namens Barta'a, da dieses zu beiden seiten eines strategischen Bachlaufes liegt. Nun wurde West-Barta'a israelisch, die Einwohner erhielten israelische Pässe - Ost-Barta'a wurde jordanisch. Familien wurden getrennt, wobei damit nicht nur Brüder und Schwestern, Eltern und Kinder gemeint sind - nein, muslimische Männer dürfen schließlich bis zu vier Ehefrauen haben, und so kam es, dass die eine Ehefrau links des Grabens und die andere Rechts des Grabens wohnte. Mit der Zeit entfernten sich beide Stadthälften voneinander, was nicht nur daran lag, dass kein Kontakt mehr untereinander herrschte, sondern vor allem, dass beide in unterschiedliche (Wirtschafts-, Bildungs-)Systeme eingebunden wurden. Ein kleines Berlin, könnte man meinen!
Nun, diese Rednerin berichtete von ihren Eindrücken, die sie im Laufe der Zeit wahrgenommen hatte: In ihrer Kindheit sprach sie fließend Hebräisch, hatte jüdische Freunde und hat die Strukturen, in denen sie lebte, nicht hinterfragt. Sie besuchte in einem nahen Ort das öffentliche Schwimmbad, ging mit einer jüdischen Gruppe auf Reisen. Doch schließlich entschied sie sich dazu, ihr Kopftuch zu tragen, was einen Wendepunkt in ihrem Leben darstellen sollte: Sie fühlte sich durchgängig misstrauischen Blicken ausgesetzt und beispielsweise erstmals aus ihrer Reisegruppe ausgeschlossen.
Ihre Schule ermöglichte es ihr jedoch, an einer Model United Nations (MUN) teilzunehmen, einer Versammlung, bei der Jugendliche eine UN-Sitzung nachstellen. Dies soll ihr die Augen geöffnet haben: Sie hinterfragte ihre Nationalität, erkannte, dass sie sich durch die israelische Flagge und Hymne nicht vertreteten fühlt und gründete eine eigene Organisation, die sich nach ihren Angaben zum Ziel gesetzt hat, Jugendliche und Studenten untereinander zu vernetzen und Vorurteile abzubauen. Eine ehrenwerte Aufgabe!
Nach einem kleinen Imbiss wurden wir im Bus von der bereits erwähnten gebürtigen Waliserin in einem Bus durch die Gegend geführt: Der erste Halt war eine Stadt namens Harish, ein Ort des "Seven Stars project" des damaligen Bauministers Ariel Scharon. Das Projekt wurde etabliert, um die Bevölkerung aus den großen Ballungszentren in ländlichere Gegenden zu holen. Momentan leben in der Stadt noch knapp 4.000 Menschen, es ist allerdings geplant, Unterkunft für 100.000 Einwohner zu bieten. Aus diesem Grund wird fleißig gebaut und noch kräftiger investiert; die Kaufpreise explodierten innerhalb von ein paar Jahren, man wird sehen, wie sich das Projekt entwickelt...
Harish liegt auf einer Anhöhe, von der man gut bis zum immerhin 20 km entfernten Mittelmeer und zum 40 km entfernten Karmel-Gebirge sehen kann. Zur anderen Seite, sprich gen Osten, liegt zum einen der arabisch geprägte Ort Umm el-Kutuf, der voraussichtlich in ein paar Jahren komplett von Harish und einem religiösen jüdischen Ort, Mitzpe Ilan, umschlossen sein wird. Zum anderen sieht man die Sperranlage zwischen Israel und dem Westjordanland, welche als Reaktion auf Terroranschläge während der Zweiten Intifada errichtet wurde.

Die Sperranlage, aus dem Bus und über eine Mitreisende fotografiert

Weiter ging's nach Ost-Barta'a. Wir erinnern uns: Dieses liegt im Westjordanland und war somit früher von Jordanien besetzt. Wir besichtigten das größte Unternehmen des Ortes, in welchem Metall geschreddert, in Würfel gepresst und in die ganze Welt geschickt wird. "Die Presse ist aus Deutschland!", wurde uns ganz stolz erklärt.


Die Autos auf den Straßen hatten größtenteils keine Nummernschilder. "Die meisten sind geklaut, hier gibt es quasi keine Polizei", erklärte unsere Reiseführerin. Zurück in den Bus, nächster Halt: Grenzübergang an der Sperranlage. Hier passieren tagtäglich tausende Pendler, sie wohnen auf der einen und arbeiten auf der anderen Seite et vice versa. Unser Guide demonstrierte uns erneut ihre unerschrockene Art, herzte die wartenden Taxifahrer und andere umherstehenden Araber. Diese wirkten auf mich über das Verhalten unserer Reiseführerin aber auch etwas überrascht, wenn nicht sogar leicht amüsiert...
Und zuletzt brachte uns der Bus nach West-Barta'a. Dort hatte man auf dem Dach eines Gemüsehandels eine gute Aussicht und konnte auf "den Ostteil" blicken.

Blick nach "Ost-Barta'a"

Schließlich gingen wir auch bis zu dem Graben, über den man heute einfach über eine Brücke laufen kann und an dem nur noch eine Gedenktafel an die frühere Trennung erinnert.


Ich hoffe, ich konnte ein wenig euer Interesse für dieses so spannende Thema wecken und euch einen groben Überblick über das von mir Erlebte verschaffen.
Inzwischen sind schon anderthalb Wochen vergangen, und ich will es mal folgendermaßen ausdrücken: Ich habe diesen Beitrag nicht ohne Grund mit dieser Verspätung geschrieben. Freut euch also auf das nächste Lebenszeichen von mir - es wird sehr bald erscheinen!

Bis dann und Lehitra'ot,

euer Johannes

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Seminar im Parlament

Jaffa

De re publica

Kontaktformular

Name

E-Mail *

Nachricht *